Gestatten Sie, daß wir uns vorstellen?

Wir sind echte Seidel – Schuhe, aber nicht irgendwelche, wir sind historisch. So, wie wir hier zu sehen sind, können Sie uns nicht mehr kaufen, aber früher, da ging das einmal. Die Filzschuhe wurden von den Seidel – Schuhmachern selbst hergestellt, die hier abgebildeten Lederschuhe nicht und doch haben Lederschuhe und auch dieses Paar mit der Firma Seidel zu tun, und wenn Sie weiterlesen, erfahren Sie, warum. Die folgenden kleinen Bilder können Sie zum besseren Betrachten anklicken.

Unsere Geschichte beginnt im Jahre 1927. Damals machte sich der Schuhmachermeister Martin Seidel zunächst in gemieteten Räumen in der Nähe der Weißbach – Schneidmühle (zuletzt Säge- und Hobelwerk Cranzahl GmbH) im Oberdorf von Cranzahl selbstständig. Im Hause von Lina Ehm konnte eine aufgegebene Schuhmacherwerkstatt übernommen und die vorherige Anstellung bei der Eisenbahn aufgegeben werden. Es wurden dort nicht nur die üblichen Reparaturen ausgeführt, sondern auch Lederschuhe und Stiefel hergestellt und eben, jetzt kommt’s: mit der Fertigung von hohen Filzschuhen mit Schnallenverschluß begonnen, wie Sie sie in unserem Gruppenbild rechts unten sehen. Der Filz, teilweise noch handgewalkt, konnte aus der näheren Umgebung von damals noch vorhandenen Filzherstellern erworben werden, das berühmte grün – schwarz karierte Einfaßband von der örtlichen Posamentenfertigung, die in der Region heute noch existiert. Die so vertrauten Verschlußschnallen kamen aus der damals ausgedehnten Blech – und Metallwarenfertigung des oberen Erzgebirges. Die Einzelteile der Schuhe wurden vernäht, vernietet und vernagelt, verklebt im heutigen Sinne wurde nichts. Von dem verwendeten Material, dem Walkfilz (schauen Sie dazu gern der Rubrik "Wichtig" nach), rührt auch der Name „Walker“ für unsere Filzschuhe her. Die hohen Filzschuhe wurden früher übrigens beileibe nicht nur als Hausschuhe benutzt. Gern wurden sie auch als Winterschuhe für draußen angezogen. Für uns heute schwer vorstellbar, aber damals gut möglich. Die Winter boten viel und vor allem trockenen Schnee, gesalzen wurde nicht und die Filzsohle bot eine hohe Trittsicherheit auf Eis.

 

Das Geschäft nahm einen guten Verlauf, so daß recht bald mit Hilfe von etwas geborgtem Geld ein eigenes, das „alte Häusel“, erworben werden konnte. Das war zu Beginn der dreißiger Jahre, wann genau ist leider nicht mehr bekannt. Wie Sie auf nebenstehendem Bild sehen, war es ein typisches altes Erzgebirgshäusel und bereits damals teilweise in etwas bedenklichem Zustand. Unter dem Dachblech lagen noch die hölzernen Schindeln. Gleich dahinter führte der Mühlgraben der noch heute existierenden Textilfirma Max Süß vorbei. Der Überlieferung nach war es einmal das Huthaus des St. Carl – Stollens. Auch in Cranzahl wurde nämlich in früheren Jahrhunderten in geringem Umfang Bergbau betrieben. Die Seidelsche Schuhmacherei konnte in diesen Jahren noch etwas ausgebaut werden und wurde um einen kleinen Handel mit zugekauften Schuhen ergänzt.

 

 
Aus diesem Geschäftsfeld stammt das Paar Lederschuhe auf obigem Bild. Schon damals wurde auf hohe Qualität und ein gutes Sortiment Wert gelegt, sehen Sie selbst im Detail:

Es kann übrigens sein, daß Ihnen der Firmenname „ZEHA“ auf der wunderschönen Ledersohle bekannt vorkommt. Die Firma existiert mit einer kurzen Unterbrechung in der Nachwendezeit noch heute und steht jetzt für hochwertige, handgefertigte Lederschuhe.

In gleicher Richtung war mittlerweile auch der Sohn von Martin Seidel tätig, der Schuhmachermeister Erich Seidel. Er war seit Mitte der dreißiger Jahre als Handlungsreisender für Schuhe unterwegs im eigenen Wagen. Dieser war allerdings auch nach damaligen Maßstäben ein recht bescheidenes und betagtes Fuhrwerk. Es handelte sich um einen Opel Laubfrosch als 2+2 – Sitzer, das heißt, die hintere Sitzbank war nach dem Ausklappen nur von außen zu besteigen und lag nicht mit unter dem Dach! Gebaut wurde der Laubfrosch zwischen 1924 und 1931. Dafür kostete er aber auch nur noch wenige hundert Mark in der Anschaffung und war damit erheblich billiger als beispielsweise ein neuer DKW – Frontwagen. Erich Seidel vertrieb unter anderem in dieser Zeit auch die Schuhe aus der Herstellung seines Vaters. Selbst internationales Handelsgut wurde im Sortiment der Seidels geführt, wie das noch vorhandene Werbeschild beweist:

Die folgende Kriegszeit war schwierig. Während Martin Seidel seinen Betrieb noch notdürftig weiterführen konnte, kam für Erich Seidel die Einberufung, zum Glück auch in Heeresdiensten als Schuhmacher. Nach Kriegsende folgte für ihn noch eine vierjährige Gefangenschaft. Unterdessen ergaben sich für seinen Vater unerwartete Schwierigkeiten. Ihm wurde erklärt, daß ihm als selbständigem Händler keine Lebensmittelkarten zuständen. Wer bedenkt, daß damals zunächst quasi kein freier Markt für Lebensmittel bestand und Lebensmittelkarten in der DDR als Kriegsfolgeerscheinung erst im Mai 1958 abgeschafft wurden, versteht, was das für eine schwere Bedrohung das war. Notgedrungen erfolgte die Aufgabe des Handels mit zugekauften Artikeln. Fortan wurden nur noch Schuhe repariert und in kleinem Maßstab je nach beschaffbarem Material auch neu angefertigt. In dieses Geschäft konnte Erich Seidel nach seiner Rückkehr 1949 mit einsteigen. Quasi als letzter Waren – Restbestand aus der Schuhhandelszeit ist aufgrund der abrupten Aufgabe dieses Geschäftsfeldes das eine Paar ZEHA – Schuhe bis heute fabrikneu erhalten geblieben.

Die DDR – Zeit war geprägt von vielen Vorgaben und einem Mangel oder einer schweren Beschaffbarkeit von so ziemlich allem, was irgendwie dazu gehört. Für die Seidel – Schuhmacher bedeutete dies zum Beispiel die Vorgabe von Preisen für die auszuführenden Arbeiten. Diese Listen existierten als Heftchen und auch als Aushang für den Kundenraum. Eine solche Aushangliste von 1962 ist erhalten geblieben. Welcher Ortsklasse Cranzahl angehörte, ist nicht mehr genau bekannt, aufgrund seiner Größe ist aber wohl „C“ nicht unwahrscheinlich. Egal wieviel nun genau, ein Stundensatz von 1,74M bis 1,93M ist in keinem Falle üppig. Es ergibt sich ein Monatseinkommen von maximal rund 350M bei einem Durchschnittsbruttoeinkommen von ungefähr 555M um 1960 in der damaligen DDR (Quelle: Statista). Unter diesen Bedingungen wurde das Betreiben der Schuhmacherei als Hauptberuf immer schwieriger, so daß sich Erich Seidel um 1970 schließlich zur Ausübung eines anderen Hauptberufes entschließen mußte, schließlich war auch eine Familie zu versorgen. Trotzdem wurde der Betrieb nebenberuflich weitergeführt, auch die Anfertigung von Filzschuhen blieb immer Bestandteil der Tätigkeit. Überdies wurde allen Widrigkeiten zum Trotz am alten Häusel gleich zu Beginn der siebziger Jahre ein kleiner Anbau für die Werkstatt angebracht, so daß endlich die räumlichen Bedingungen etwas verbessert werden konnten. In dieser Form wurde das Geschäft bis in die erste Nachwendezeit betrieben, wiewohl Erich Seidel längst das Rentenalter erreicht hatte.

1992 erfolgte in der Geschichte der Cranzahler Filzschuhmacherei ein großer Wendepunkt. Manfred, der älteste Sohn Erich Seidels und nachfolgend langjähriger Firmeninhaber, entschloß sich, die Filzschuhherstellung wieder aufleben zu lassen und als Haupterwerb zu betreiben. Dies gestaltete sich überaus schwierig, wurden doch jahrzehntelang nur Einzelstücke gefertigt und nun sollten es auf einmal größere Stückzahlen werden. Schnell wurde klar, daß andere Maschinen nötig waren. So manches konnte aus der allgemeinen Auflösung alteingesessener Firmen beschafft werden. Andererseits verschwanden auch wichtige Zulieferer, so gibt es heute im Erzgebirge keine Filzhersteller mehr. Gleichermaßen ging auch das letzte bekannte Stanz – und Biegewerkzeug für die Schnallen an den hohen Schuhen unwiederbringlich verloren. Immerhin konnte noch ein größerer Restposten fertiger Schnallen erworben werden. Da diese aber mittlerweile fast aufgebraucht sind, mußten die bekannten hohen Filzschuhe mit Schnalle verändert werden, um sie Ihnen weiterhin anbieten zu können. Deshalb haben wir uns entschlossen, diese auf den für manche Nutzer ohnehin einfacher zu handhabenden Klettverschluß umzustellen.

Auch stellte sich schnell heraus, daß manche Technologie der Schuhfabrikation bei Einzelstücken ohne weiteres geht, aber bei höheren Stückzahlen untragbar wird. Sie merken, selbst bei einem so althergebrachten Traditionsprodukt wie dem Filzschuh ist eine gewisse Entwicklung unabdingbar. Das Nageln und Nieten ist vollständig aus der Fertigung verschwunden, dafür hat an geeigneten Stellen das Kleben Einzug gehalten. Keine Angst, auch das geschieht alles in Handarbeit ohne Automaten, die handwerkliche Herstellung wurde deshalb also nicht aufgegeben! Es bedeutet auch keine Verschlechterung der Qualität, eher im Gegenteil. Sie mögen heute die Naht auf den Schuhsohlen, wie auf dem Gruppenbild links oben an den Walkern zu sehen, vermissen. Die Praxis hat aber gezeigt, daß sich der Nähfaden trotz des arbeitsaufwendigen Ritzens der Sohle, das bedeutet, der Faden kommt vertieft in der Sohle zu liegen, trotzdem mit der Zeit durchläuft. Die vernähten Sohlenteile würden sich dann lösen, was mit einer geeigneten und genau abgestimmten Verklebung nicht mehr passiert. Früher hat man die Schuhe einfach zum Nachnähen wieder zum Schuhmacher geschafft, aber heute müßten Sie sich sicherlich selber fragen: Zu welchem Schuhmacher? Und wenn schon einer da wäre, könnte er das überhaupt, besitzt er noch eine Durchnähmaschine?
Ganz ähnlich liegt die Sache bei den farbigen Käppchen auf den Kinderschuhen, wie sie oben rechts zu sehen sind. In alter Zeit war geeigneter Schuhfilz nur in grauen und braunen oder auch schwarzen Farbtönen erhältlich. Um nun die Kinderschuhe trotzdem farblich etwas ansprechender und kindgerechter zu gestalten, wurde eigens ein eingefärbtes Leder entsprechend ausgestanzt, auf den zugehörigen Schaft des Schuhs leicht aufgeklebt, damit es sich beim folgenden Annähen nicht verschiebt oder Falten wirft und wurde dann mit über den Leisten gezogen, aufgrund des anderen Dehnungsverhaltens von Leder gegenüber Filz nicht ganz unproblematisch und vor allem im Ganzen ungeheuer zeitaufwendig. Mit den heute beschaffbaren farbigen Filzen konnte dieses Problem wie wir meinen zu Ihrer vollen Zufriedenheit gelöst werden, wiewohl Kinderschuhe trotzdem wegen ihrer geringen Größe nicht ganz ohne in der Herstellung bleiben.
 

Trotz aller Schwierigkeiten konnte das Geschäft gut eingeführt werden und hat sich nach ungeheuren Mühen in der Anfangszeit solide entwickelt, die Seidel – Filzschuhe haben auch nach der Wende viele zufriedene Abnehmer gefunden. Schon kurz nach dem Beginn mußte mit der Schwägerin des damaligen Firmeninhabers Manfred Seidel eine erste Näherin angestellt werden. 1995 konnte gleich neben dem „alten Häusel“ ein wunderschönes denkmalgeschütztes Gebäude im Schweizerhausstil erworben und nachfolgend saniert werden. Es wurde behutsam um einen unauffällig liegenden Anbau erweitert, so daß für eine richtige Filzschuhherstellung geeignete Räumlichkeiten nun endlich vorhanden waren. Gleichermaßen konnte mit wachsendem Geschäftsbetrieb 1998 nach dem Tode Erich Seidels, der bis zum Schluß hochbetagt mitgeholfen hat, schließlich auch der Bruder von Manfred Seidel mit in den Betrieb übernommen werden. Dieser Mitarbeiterstamm muß zeitweise noch um eine Näherin verstärkt werden, um aller Arbeiten Herr zu werden. Übrigens handelt es sich bei Manfred Seidel um eine zufällige Namensgleichheit mit dem Stasi - Offizier, die "Filzschuh - Seideln" stehen mit diesem in keinerlei Verbindung!

Mittlerweile machte sich immer noch wachsender Platzbedarf bemerkbar, gleichermaßen war trotz mancherlei Bemühungen und Nutzung als Wohnhaus der Zustand des „alten Häusels“ so hinfällig geworden, daß sich bei Überlegungen zur Erweiterung der Werkstatt in diesem herausstellte, eine weitere Erhaltung ist unmöglich. Schweren Herzens wurde ein Neubau beschlossen. So entstand 2009 das „neue Häusel“, in wesentlichen Stilelementen erinnert es an das alte und dient jetzt als Lager und diversen Vorarbeiten an den Rohmaterialen zur eigentlichen Filzschuhfabrikation. Vor dem heutigen Werkstattgebäude steht als Blickfang eine uralte Mansfeld – Stanze, welche in der ersten Zeit der Schuhfertigung noch gute Dienste leistete, unter einem kleinen Holzschindeldach, ganz wie früher beim „alten Häusel“. Und seit dem 1. April 2019 ist in Form von Gregor Haase, dem "Schwiegerneffen", die nächste Generation ins Unternehmen eingetreten. Zum 01.07.2021 wurde schließlich die Firma Seidel – Filzschuh auch formell an Gregor Haase übertragen, so bleibt zu hoffen, daß der Betrieb noch lange weitergeführt werden kann.

So können wir Ihnen also auch heute unsere wunderbaren, hochwertigen, in über 90-jähriger durchgehenden Familientradition gefertigten Seidel – Filzschuhe anbieten, gestanzt mit uralten Eisen, geformt über Leisten in den historischen Maßen. Manches hat sich in dieser Zeit geändert, wir hoffen aber so Gott will, daß unsere Filzschuhproduktion noch lange so emsig klappert, wie unsere über 120 Jahre alte Häkelgalonmaschine, die unermüdlich Tag um Tag für Nachschub an kariertem Einfaßband sorgt.

Auf Ihren baldigen Besuch und Einkauf bei uns, wir grüßen Sie mit einem herzlichen Glück Auf aus Cranzahl, Ihre Seidel – Schumacher.